Theaterkritik - " leitmotiv 23", Montevideo, 16.10.1997

Faust-Review
von Jörg Platen

Eins vorab - eigentlich ist es absoluter Wahnsinn als Theatergruppe an einer Schule -zumal im Ausland -, Goethes Faust - gar Teil I und II an einem Abend - zu spielen. Schon für die meisten Deutschen ist das Werk ein zu schwerer Brocken, und die Klischees berühmter Aufführungen sowie die internationalen Voreinstellungen zu diesem Stoff der Weltliteratur, lassen kaum Raum für neue Konzepte. Daß die Theatergruppe "th2" um Edi König solche Mißlichkeiten eher als Herausforderung, denn als Problem empfindet, wird dem Neuankömmling an dieser Schule lange vor der Aufführung gewahr. Die einen raunen hinter vorgehaltener Hand von der zu erwartenden unerhörten Provokation und wenden sich entsetzt ab, die anderen gehen hin und manche geraten gar ins Schwärmen. Nach meiner ersten Begegnung mit den "th2-Leuten" zähle ich mich gern zur letztgenannten Gruppe, ungeachtet der Tatsache daß man als erbarmungsloser Analytiker einer Aufführung viel eher den intellektuellen Ritterschlag erhält. Aber "kaltes Analysieren zerstört die Poesie" heißt es schon beim alten Goethe - und der müßte es wissen. Vor allem wird man diesem Werk nur dann gerecht, wenn man sich den Eindrücken hingibt, sich ergötzen und rühren läßt, wie es Goethe angesichts dieses Werks selbst gefordert hat.

Konnte der bemühte Zuschauer im Faust I-Teil der Aufführung - vor der Pause - die dramatische Struktur in Zeitraffer gerade noch nachvollziehen, so verlor er sich im Faust II-Teil - nach der Pause - in der symbolisch-phantastischen Ausbreitung des Stoffes vollends. Da brauchte man aber auch keinen die Handlung erklärenden Erzähler mehr und auch nicht perfekte Kenntnisse der deutschen Sprache, um einen faszinierenden Theaterabend zu erleben. Man mußte sich nur seinen Sinnen anvertrauen und sich fallen lassen.

Im Feuerwerk der Sinne öffnete sich dann eine Turnhalle zum Weltgeschehen, ein stählernes Gerüst stieg symbolisch zum Himmel auf, der Zuschauer sah sich vom Fahrrad des Ikarus und vom Spektakel umkreist und einbezogen. Optische und akustische Effekte, Wohlgerüche und eine Musik in den Dimensionen von Schubert zu Strauß und Wehner (!) vertieften das Erlebnis. Der burleske, kokette - mitunter aber auch verzweifelte und zynische - Mephistopheles von Patrick Strickler und der facettenreiche, kraftvolle Faust von Pablo Aiscar, der in den Liebesszenen eher an einen etwas domestizierten Antonio Banderas erinnerte, denn an einen verstaubten deutschen Wissenschaftler auf dem Weg zwischen Himmel und Hölle, durchbrachen die erwarteten Rollenklischees der beiden Hauptgestalten mit Bravour. Die anderen -insgesamt 30- Schauspieler standen ihnen darin kaum nach.

Aber zum Schluß das Wichtigste: Die Woche, in der sich Edi Königs Truppe in ihrem brillanten Faust-Konzept in vier - offensichtlich recht unterschiedlichen Aufführungen - präsentierte, kannte nur ein Thema im Lehrerzimmer und auf den Fluren: "Was hältst Du denn von Edi und seiner Theater-Truppe?"

Aus solche offener Fragestellung und der Vielfalt der geäußerten Meinungen und deren Respektierung könnte sich der wahre Geist internationaler Begegnungen an unserer Schule entwickeln.

Zum Schluß kommt Mitleid mit dem armen Nachfolger auf, der Edis brillante Theaterarbeit fortsetzen wird.


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© 30.11.1997 theater2teatro